Teaching Approach for »Design Digitaler Systeme« (2020)

Lernen, die Digitalisierung mitzugestalten (German text only)

Scheinbar überall wird von der Digitalisierung und der digitalen Transformation gesprochen: in der Wirtschaft, in der Politik, in den Wissenschaften oder auch in den Nachrichten. Im Kern geht es hierbei um die Algorithmisierung beziehungsweise Automatisierung von Tätigkeiten und Arbeitsprozessen. Im Zuge dessen verlieren viele Arbeitsprodukte ihre physikalische Gestalt und werden zunehmend virtuell. Auch wir haben guten Grund von der Digitalisierung zu sprechen, denn der Studiengang Design Digitaler Systeme – IoT beteiligt sich als informatisches Bachelor-Studium unmittelbar und aktiv an der digitalen Transformation.

Es liegt in unserer Verantwortung, den Studierenden die notwendigen Lehrinhalte anzubieten, damit sie sich zu kompetenten Gestalterinnen und Gestaltern des Digitalen entwickeln können. Die Besonderheit des Studiengangs besteht darin, dass er sich mit dem Entwurf von sowohl virtuellen als auch materiellen („smarten“) Artefakten befasst. Dieser Entwurf erfolgt stets dem übergeordneten Ziel, interaktive Produkte zu erschaffen, die den Menschen nützlich sind und wird möglich durch Detailkenntnisse der unterliegenden Technologien.

Endsprechend lassen sich die Kompetenzfelder der Absolventinnen und Absolventen schematisch anhand von vier Feldern illustrieren (vgl. Abbildung oben): Verständnis der Belange der Menschen (User Interfaces) und Beherrschung grundlegender Technologien (Maschinen Interfaces) hinsichtlich virtueller sowie materieller (smarter) Produkte. Im Folgenden gehen wir auf diese vier Felder im Detail ein und beschreiben anschließend unseren Lehr- beziehungsweise Lernansatz, um den entsprechenden Kompetenzerwerb zu ermöglichen.

virtuell-materiell

 

User Interfaces und Maschinen Interfaces

Luciano Floridi unterscheidet in seinem wichtigen philosophischen Buch „The 4rth Revolution: How the Infospehere is Reshaping Human Reality“ [1] zwei Schnittstellen, welche Technologien aufweisen können. Zum einem das User Interface, welches den Menschen zugewandt ist und es ihnen ermöglicht mit der Technologie zu interagieren. Als Beispiel können wir uns hier die virtuelle Bedienoberfläche eines Smartphones vorstellen oder auch die mechanische Buchse zum Anschluss eines USB Kabels an dieses Gerät. Zum anderen verfügen Technologien oftmals über Schnittstellen zu weiteren Technologien. Dieses Maschinen Interfaces (oder auch Protokolle in Floridis Terminologie) binden das Smartphone aus unserem Beispiel an ein viel größeres System weiterer Technologien an, wie etwa Apps oder Services, die auf dem Gerät installiert sind, oder an das Internet als Ganzes.

Die Studierenden von Design Digitaler Systeme – IoT sind Spezialistinnen und Spezialisten für beide Arten von Interface. Um dieser anspruchsvollen Aufgabe gerecht zu werden, ist ihr Studium interdisziplinär aufgebaut. Dabei weisen Informatik und Elektrotechnik beziehungsweise Mechatronik als Ingenieursdisziplinen traditionell eine technische Interpretation des Interfaces auf. Schnittstelle wird in erster Linie als Spezifikation oder Normierung verstanden, damit ein Daten- beziehungsweise Informationsaustausch erfolgreich umgesetzt werden kann. Es wird dafür gesorgt, dass die virtuellen oder manchmal auch tatsächlichen Zahnräder perfekt ineinandergreifen. Dies ist für die Implementierung digitaler und smarter physikalischer Systeme unabdingbar. Designdisziplinen wie das Industriedesign hingegen haben eine lange Tradition darin, den Interface-Begriff von der Warte des Menschen aus zu interpretieren. Auch wir bedienen uns intensiv dieser Perspektive bei der Gestaltung der User Interfaces.

„Das Interface ist der zentrale Bereich, auf den der Designer seine Aufmerksamkeit richtet. Durch das Design des Interface wird der Handlungsraum des Nutzers von Produkten gegliedert. Das Interface erschließt den Werkzeugcharakter von Objekten und den Informationsgehalt von Daten“ [2, p.20], um den einflussreichen Designer und Design-Theoretiker Gui Bonsiepe zu zitieren. Weiter erklärt Bonsiepe, dass der Unterschied zwischen dem Ingenieurs- und Designberuf darin begründet sei, dass sich erste Profession um die physikalischen Eigenschaften von Artefakten kümmern würde, Designerinnen und Designer hingegen „um die soziokulturelle Effizienz eines Produktes“ [2, p.33]. Übertragen auf das Design Digitaler Systeme, bei welchem wir beide Rollen einnehmen, bedeutet dies dass wir beispielsweise dafür Sorge tragen, dass sowohl die Sensordaten korrekt eingelesen werden („physikalische“ Eigenschaft) als auch überhaupt der Wunsch von Seiten der NutzerInnen und Nutzer besteht, diese Daten einzulesen und mit ihnen zu arbeiten („soziokulturelle Effizienz“).

Virtuell und materiell

Eine weitere Herausforderung beim Entwurf digitaler, smarter Systeme im Kontext von IoT besteht darin, dass die entsprechenden Artefakte sowohl virtueller als auch materieller Natur sein können. Diese Tatsache ist sicherlich einer Entwicklung geschuldet, die häufig als Moore’s Law beschrieben wird: Durch einen rasanten technologischen Fortschritt ist es heute möglich, sehr kleine Mikrokontroller mit beachtlicher Rechenleistung zu einem erschwinglichen Preis in alle erdenklichen Gegenstände einzubetten. Dadurch werden alltägliche Objekte zu Computern, ohne dass man es ihnen direkt ansehen würde. Hinzu kommen immer größer werdende Speicherkapazitäten und ein allgegenwärtiges Internet. Somit tun sich mannigfaltige Möglichkeiten, Chancen, aber auch Gefahren auf vernetzte Systeme zu gestalten, um das Virtuelle mit dem Materiellen zu verbinden. Die beiden Interaktionsdesigner und Designtheoretiker Löwgren und Stolterman bezeichnen den Entwurf von virtuellen Anwendungen als das Arbeiten mit einem „Material ohne Eigenschaften“ [3]. Der Gestaltung des Digitalen ist also eine gewisse Unangreifbarkeit eigen. Das Digitale hat unendlich viele Eigenschaften und lässt sich gleichzeitig nur vage charakterisieren. Dadurch entstehen aber auch scheinbar unendlich viele Möglichkeiten, neue Anwendungen zu erschaffen. Angehende Absolventen und Absolventinnen des Studiengangs Design Digitaler Systeme – IoT müssen sowohl den gestalterischen Umgang mit den Digitalen meistern als auch mit konkretem Material arbeiten. Der Entwurf smarter Objekte erfordert eine (dreidimensionale) Modellgestaltung und händische sowie maschinelle Herstellung, um das Virtuelle passgenau mit dem Materiellem zusammenzuführen.

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Abbildung: Materialzusammenstellung für eines der Interaction Design Studios (IxD Studio). Die Studierenden bekommen eine Auswahl von elektronischen Komponenten und einen Arbeitsauftrag. In diesem Rahmen suchen sie dann nach kreativen Lösungen und erarbeiten sich dabei Handlungsstrategien.


Lehr- und Lernsatz

Um die Studierenden auf den beschriebenen vier Kompetenzfeldern sicher aufzustellen, setzen wir auf eine Mischung klassischer Unterrichtsformate wie Vorlesungen, Übungen oder Seminare und kombinieren sie mit projektbasiertem Lernen. Letzteres Format zieht sich durch das gesamte Studium in Form des Interaction Design Studio (IxD Studio). Während klassische Formate notwendiges Grundlagenwissen bereitstellt, vertiefen die Studierenden ihr Wissen im IxD Studio anhand spezifischer Aufgabenstellungen durch praktisches Arbeiten und Anwenden von Fertigkeiten. Dieser Ansatz ist stark inspiriert durch die didaktischen Arbeiten von Seymour Papert [4] und Mitchel Resnick [5]. Die Studierenden erarbeiten sich ein Problem oder Projekt eigenständig in der Gruppe. Natürlich bekommen sie entsprechende Rahmenbedingungen vorgeben und Materialien bereitgestellt, doch sind sie es, die durch praktisches Experimentieren eine Problemstellung erschließen und sich in diesem Prozess Wissen aneignen.

Ein Beispiel soll diesen Lehr- und Lernansatz veranschaulichen. Im Rahmen eines wissenschaftlichen Projektes haben die Studierenden den Auftrag erhalten, ein smartes Spielzeug für den Förderunterricht sehbehinderter Kinder zu designen. Mit diesem Auftrag wurde ihnen Literatur über die entsprechende Sehbehinderung zur Verfügung gestellt. Außerdem erhielten sie Schilderungen von Frühpädagoginnen, die mit den betroffenen Kindern arbeiten. Dies war der designerische Auftrag beziehungsweise die Anforderungen für das User Interface. Auf Seiten des Maschinen Interface sollten die Studierenden sich mit bestimmten Technologien und Funkverbindungen auseinandersetzen. Aus diesem Grund wurde jeder Gruppe das Material, welches in der obigen Abbildung gezeigt wird, zur Verfügung gestellt. In einem iterativen Prozess haben die Studierenden schließlich – unter Verwendung von modernen Werkzeugen wie dem Lasercutter oder 3D Drucker – einen hübschen Farbwürfel erstellt, der über beleuchtete Druckknöpfe verfügt und kabellos mit einem Android Tablet beziehungsweise mit einer eigens erstellten App verbunden ist. Die App gibt dem Kind eine Form vor und es muss diese dann am Würfel finden und drücken. Somit wird der Sehsinn gereizt und motorische Fertigkeiten werden trainiert. Weitere Information zu dem Prototyp sind diesem Blog-Beitrag zu entnehmen.

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Abbildung: Konzept der Studierenden Hana Salihodzic, Konstantin Zilberburg und Niloufar Chakhmaghi für ein interaktives Förderspielzeug.


Kreativität

Neben dem Kennenlernen der zugrundeliegenden Technologien und das Eindenken in die Themenstellung „Frühförderung und smarte Spielzeuge“ haben wir durch das projekt-basierte Lernen auch auf die Förderung der Kreativität abgezielt. Ganz bewusst haben wir die Materialien auf ein gewisses Grundsortiment beschränkt (siehe Abbildung oben), um die Studierenden zu kreativen Ideen herauszufordern. Ein klarer Rahmen und begrenzte Mittel sind ein probates Mittel, um Kreativität anzuregen.

Kreativität beziehungsweise kreative Prozesse sind sowohl in den Ingenieurswissenschaften als auch im Design allgegenwärtig und von immenser Wichtigkeit. Zudem wird Kreativität oftmals als Schlüsselkompetenz genannt, um den Jobanforderungen von Morgen gerecht zu werden [6]. Hochrechnungen zu Folge sind prozentual große Anteile der heutigen Jobs durch die Digitalisierung bedroht. Viele Routine-Tätigkeiten werden in naher Zukunft automatisiert werden und daher wegfallen [7]. Aus diesem Grund wird künftigen Arbeitnehmern große Flexibilität und Kreativität abverlangt. An dieser Stelle „schließt sich der Kreis“. Das Studium Design Digitaler Systeme – IoT befähigt die Studierenden, sich aktiv an der digitalen Transformation zu beteiligen und verantwortungsbewusst gestaltend einzugreifen.

Repertoire und Portfolio

Um ihrer Rolle gerecht zu werden, bauen sich die Studierenden -- unter anderem durch projekt-basiertes Lernen -- ein Handlungs-Repertoire auf. Durch die praktische Erprobung von Entwurfsmethoden und Techniken, erlangen sie zu Lösungsstrategien, welche sie situativ auf neue Herausforderungen anpassen können. Dem Vorbild von Löwgren und Stolterman folgend [3], hinterfragen die Studierenden beständig ihre eigenen, teils versteckten Annahmen und nehmen eine kritisch-reflektierte Haltung ein, wann immer sie ein neues digitales Produkt erschaffen: „The thoughtful designer sees her own ability as something that has to be designed. The thoughtful designer understands that theories, concepts, and ideas about design are practical intellectual tools. The thoughtful designer dares to challenge her own thinking and assumptions as a way to develop her competence and design ability.” [3, S.5]

Der Entwicklungsprozesse ihrer einzelnen Design-Arbeiten wird von den Studierenden in einem Portfolio dokumentiert, welches gleichzeitig die Entwicklung der Studierenden aufzeichnet sowie auch einen wertvollen Baustein für die berufliche Profilbildung darstellt.

 

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Zusammengefasst ist es also unser Anliegen, Diginautinnen und Diginauten auszubilden. - Diese Kunstfigur verkörpert diejenigen Eigenschaften, die notwendig sind, um in die digitale Welt der Zukunft gestaltend eingreifen zu können. Mutig betreten die Diginautinnen und Diginauten den neuartigen Raum, der durch die Verbindung von Virtualität und Materialität aufgestoßen wird. Sie verfügen über das entsprechende Werkzeug und über die nötigen Denkstrategien, um durch diese spannenden Welten sicher zu navigieren. Mehr noch: Sie sind befähigt, diese neue Welt positiv zu verändern.


Referenzen zum Text

[1] Floridi, L. 2014. The 4rth Revolution: How the Infospehere is Reshaping Human Reality. Oxford University Press: Oxford (UK).

[2] Bonsiepe, G. 1996. Interface – Design neu begreifen. Bollmann: Mannheim (Deutschland).

[3] Löwgren, J. und Stolterman, E. 2004. Thoughtful Interaction Design. MIT Press: Boston, MA (USA).

[4] Papert, S. 1985. Kinder, Computer und neues Lernen. Birkhäuser Verlag: Basel (Schweiz).

[5] Resnick, M. Lifelong Kindergarten. Cultivating Creativity through Projects, Passion, Peers, and Play. MIT University Press: Cambridge, MA (USA).

[6] Pink, D. 2004. A whole new Mind. Riverhead Trade: New York, NY (USA).

[7] Frey, C.B. und Osborne, M. A. 2013. The Future of Employment: How susceptible are Jobs to Computerisation? (Letzter Zugriff 28. Mai 2020.)